Verrückt.
Als Kind lebte ich in einer kleinen Gemeinde in Schleswig-Holstein in einem kleinen Einfamilienhaus mit viel Garten drum-herum. Direkt gegenüber wohnte ein Nachbar, mit dem sich mein Vater angefreundet hat. Die Freundschaft der beiden hält bis heute, obwohl sie inzwischen mehrere hundert Kilometer trennen und sie sich kaum noch sehen. Besagter Nachbar arbeitete bei Philips in Hamburg und war Elektrotechniker. Entsprechend hatte er eine sehr gut ausgestattete Werkstatt Zuhause. Ich war oft bei ihm und habe versucht, Sachen abzustauben, die er selbst nicht mehr brauchte. Mein Vater hatte im Grunde genommen nicht viel mit Elektrotechnik zu tun, war aber schon immer schnell begeisterungsfähig und geschickt im Bauen und Konstruieren irgendwelcher Dinge. So hat er bspw. diverse Radios selbst zusammengelötet und urige Gehäuse aus Holz dazu gebaut.
Vermutlich um mich zu beschäftigen, durfte ich dabei oft mit dem Lötkolben üben und bekam dazu von unserem Nachbarn Platinen, einen eigenen Lötkolben mit Station und Lötzinn. Ich habe dann einen Lötpunkt nach dem anderen gesetzt und sie dann stolz wie Oskar gezeigt. Dass ich dann ein Lob bekam, wie ordentlich ich dabei vorgegangen sei, war mir so wichtig, dass ich fleißig geübt habe.
Die Geschichte zeigt, dass aus mir kein Elektrotechniker geworden ist. Und viel später habe ich auch herausgefunden, dass mein Vater im Grunde genommen keine Ahnung davon hat, wie ein Radio eigentlich funktioniert. Er hat damals lediglich die Teile (nach Anleitung) zusammengebastelt, die er von seinem Freund bekommen hat. Dennoch hat die Zeit damals mein Interesse geweckt und so wurde meine Kindheit begleitet von Schuko-Elektronikkästen, Lötzinn und jeder Menge Frickel-Projekte. Auch werde ich nie vergessen, wie ich ein das erste Mal mit meinem PC "online" ging.
Damals hatten meine Eltern diverse finanzielle Herausforderungen zu meistern und waren immer froh, wenn es neue Möglichkeiten gab, Geld zu sparen. Als sich dann eines Tages eine Firma bei uns meldete, die unsere TV-Gewohnheiten zwecks Einschaltquotenmessung überwachen wollten, waren sie sofort dabei: Denn als "Entlohnung" für unsere Mühen wurden die damaligen GEZ Gebühren erstattet (aus heutiger Sicht eigentlich eine Frechheit). Ein Techniker richtete die Geräte bei uns zuhause ein und dabei wurde u.a. ein kleiner blauer Kasten aufgestellt, den er an unserer Telefondose anschloss. Als dieser Kasten einige Monate später durch einen neuen ausgetauscht werden sollte, schlug meine große Stunde!
Kurz zuvor hatte ich herausgefunden, dass es Leute gibt, die mit sogenannten Modems Mailboxen anriefen, sich Nachrichten schickten oder sogar Dateien miteinander tauschten und ja, natürlich kannte ich bereits Wargames. Nur war es vollkommen illusorisch anzunehmen, meine Eltern würden mir so ein Gerät kaufen. Allerdings fiel mir dann irgendwann auf, dass das Gerät von besagter Firma verdächtig nach einem Modem aussah und wohl auch das tat, was ich annahm, was ein solches tun müsste. Tatsächlich stellte es sich im Nachhinein als ein Hayes kompatibles 14,4 kbaud Modem heraus und praktischerweise hatte es natürlich ein passendes Parallelkabel für den Anschluss an den PC dabei. Und wer kann schon so genau sagen, ob ein Paket wirklich immer ankommt, wenn man es losschickt, richtig? Also bekamen wir ein neues Gerät (bei dem die Anschlüsse komischerweise nicht mal mehr ansatzweise Ähnlichkeiten hatten zu denen am alten Gerät) und ich hatte auf einmal ein Modem, mit dem ich zunächst nichts anzufangen wusste.
Ein Verwandter von mir war allerdings "voll drin" in der Szene und bekam einmal im Monat DAT Tapes mit Gigabytes an Software. Treiber, Spiele, Anwendungen,... da war praktisch alles mit dabei. Ab und zu bekam ich von ihm Textdateien mit Verzeichnisinhalten und durfte mir Sachen herauspicken, die er mir dann von den Tapes auf CDs kopierte. Allein die Hardware, die dafür damals erforderlich war, wäre für mich weder erschwinglich gewesen, noch hätte ich sie verstanden. Sei es drum... auf die Art kam ich an Modemtreiber für DOS und auch Terminate, die damals wohl bekannteste Terminal-Emulation für MS Dos.
Nun müsst ihr verstehen, dass mein Kinderzimmer - ich war vielleicht 12 oder so - natürlich keinen eigenen Telefonanschluss hat. Und ich konnte meine Eltern ja kaum fragen, ob sie mir einen legen könnten. Also habe ich das getan, was man als Kind halt tut, ohne genau zu verstehen, was man tut. Ich habe improvisiert: Aus verschiedenen Lautsprecherkabeln (ich höre euch bereits lachen...) habe ich ein ca. 20m langes Kabel zusammengezwirbelt, die Verbindungen "sauber" (haha) zusammengelötet und dieses dann von meinem Zimmer aus bis ins Wohnzimmer und der Telefondose "verlegt". Verlegt bedeutet in diesem Fall: An den Türrahmen entlang. Dem Stirnrunzeln meiner Eltern bin ich mit einem lockeren: "Das bleibt nicht so, ich will nur etwas ausprobieren..." begegnet. Und da mein Vater eh' ausschließlich im Nachtdienst als Krankenpfleger tätig war und damit nur wenig davon mitbekommen hat, was Zuhause so passiert und meine Mutter sich mit "wichtigeren" Dingen beschäftigen durfte, als einem Sohn, der schon wieder irgendeinen verrückten aber vermutlich harmlosen Kram anstellt, wurde mein Projekt weitestgehend (zunächst) ignoriert.
Also schloss ich das Gerät an der Telefondose an... und an meinem PC. Und die Lämpchen leuchteten auf. Und Terminate ließ sich starten... und nach einigem Herumprobieren fand ich heraus, wie ich das Modem einzustellen hatte. Als der Moment kam und ich das erste Mal einen Wählbefehl absetzte (von meinem Verwandten bekam ich eine Liste verfügbarer Mailboxen) galt mein erster Anruf glaube ich der Formelbox in Kaltenkirchen. Den Klang, der während eines Handshakes zu hören ist, werde ich nie vergessen. Und als sich plötzlich eine Verbindung aufbaute, Daten übertragen wurden und ich auf einmal ein Menü auf dem Bildschirm hatte, konnte ich es kaum fassen. Meine Eltern übrigens auch nicht. Also... die nächste Telefonrechnung meine ich.
Es hat nicht lange gedauert, bis ich gelernt habe, dass es Quotas gibt (ich also immer brav 1 kB an Daten oder so hochladen durfte, um 3 herunterladen zu können, etc.) oder dass es später sogar möglich war, über die Mailbox auch Emails zu verschicken. Es gab halt nur niemanden, den ich kannte, der eine Email-Adresse hatte. Zu der Zeit fand ich auch heraus, dass es das FidoNet gibt und wurde schnell zunächst über die Formelbox, später die KakiBBS zum Point (heute wäre ich hier erreichbar: 2:240/1120.34). Als letztes war ich dann in Itzehoe registriert bei Olaf und seiner AirforceBBS. Und als die ersten Mailboxen dann anboten, als Proxy den Zugang zum Internet zu ermöglichen, wurde es auf einmal richtig teuer! In Bad Bramstedt kam dann einer der ersten Anbieter auf den Plan, bei dem wir "nur noch" eine monatliche Gebühr in Höhe von... weiß ich nicht mehr... zahlen mussten, damit der Zugang zum Netz "nur noch" die regulären Telefongebühren kosteten. Und DAS war noch immer sauteuer, wenn ich das mit dem vergleiche, was wir heute abdrücken dürfen.
So verging die Zeit und sie war geprägt von einem Gefühl von "Entdeckertum", da praktisch alles irgendwie neu war. Und dadurch, dass kaum jemand aus meiner Umgebung Zugang zu dieser Welt hatte, wusste ich als einziger "Bescheid". Ein Großteil dieses Wissens musste ich mir auch selbst aneignen, da ich auch keinen wirklichen Zugang zu entsprechenden Informationsquellen hatte. Oftmals gab es auch keine frei zugänglichen Quellen.
Bei meinen Versuchen, mich auch in angeblich "illegale" Mailboxen einzuwählen, ist mir allerdings nie ein System von Protovision begegnet und bis auf einen ominösen Loginscreen der Thule Box gab es auch keine ungewöhnlichen Erlebnisse, von einem Angebot, weltweiten, thermonuklearen Krieg, oder wenigstens Tic Tac Toe zu spielen einmal ganz abgesehen. (TECS gibt es übrigens noch immer...)
Meine Experimente mit der Elektrotechnik nahmen zwar ab - nicht zuletzt dadurch, dass nach und nach nahezu alle Bauteile aus den Schukokästen gnadenlos von meiner Mutter mit dem Staubsauger entsorgt wurden und man damals nicht einmal mal eben aus China für ne Mark 100 neue Widerstände kaufen konnte. Allerdings stelle ich auch noch heute immer wieder fest, dass sich die Erinnerungen und die damit verbundenen Emotionen von damals praktisch sofort wenn ich den Lötkolben einschalte und die erste Fahne des Lötrauchs meine Nase erreicht, wieder einstellt und alles wieder da ist. Bis vor 20 Minuten habe ich das ausschließlich positiv assoziiert (ein NLPler würde nun sagen: Klar, das ist ein Anker).
Nun aber bin ich zufällig über einen Artikel gestolpert, dem ich entnehmen durfte, dass es sich dabei um Lötrauch handelt (das wusste ich bis eben tatsächlich auch nicht) und dass dieser zudem noch hochgiftig sei - sogar obwohl inzwischen kein Blei mehr im Lötzinn ist). Toll.
Warum ich also eigentlich diesen Text geschrieben habe:
Ist das echt ein Thema, das so gravierend ist, dass ich selbst bei nur kleinen Lötarbeiten und wenn diese nur hin und wieder mal vorkommen, eine Absaugeinrichtung daneben stellen sollte? Nachdem mein PI1541 z.B. toll funktioniert, löte ich gerade vier weitere Platinen zusammen und denke jetzt darüber nach, mir die RND 560-00156 Lötrauchabsaugung von Reichelt zu bestellen. Wie geht ihr damit um?
Liebe Grüße,
Christian.