Wie hoch schätzt du die Vorleistung ein?
Das kann ich aus dem Bauch heraus auch nicht wirklich sagen. Da müsste man sich schon ein paar Stunden Gedanken zu machen – und dafür ist es zu früh (was das Konzept angeht). Es kommt ja darauf an, was für eine Art von Gehäuse man produzieren muss, ob spezifische Gamepads dabei wären, wie aufwendig die Software-Beigaben zu entwickeln sind, wie hochwertig und aufwendig Handbuch oder Verpackung werden sollen u.s.w. So ganz locker, ohne jegliche Kalkulation, würde ich sagen: Wenn man weniger als 100.000 Euro zur Verfügung hat, sollte man es besser lassen. Beim doppelten sollte es wohl irgendwie gelingen – und beim nochmal doppelten sollte das Projekt zumindest nicht am Finanziellen scheitern. (Aber das 600.000 Euro-Polster vom Spectrum Next wären natürlich auch nicht verkehrt.)
Wenn sich jemand traut, es auch für einen Bruchteil der genannten Summen zu starten – fände ich das natürlich auch klasse (solange es nicht mein Geld oder meine Verantwortung ist).
Wenn man hingegen ausschließlich was für "Insider" machen will, dann reicht natürlich auch downloadbarer VHDL-Code oder ein Emulator mit dem Hinweis, auf welcher Hardware man das zum Laufen bekommt – und fertig. Das kostet gar kein Geld – ist aber natürlich was anderes und spricht halt eine andere (und kleinere) Zielgruppe an.
Ich persönlich glaube mittlerweile, dass ein komplett neues System von einem weniger bekannten Urheber sehr schlechte Chancen hat, jemals richtig bekannt, beliebt und erfolgreich zu werden. Ich glaube auch, dass selbst ein nur dezent aufgebohrter C64 weitgehend abgelehnt würde.
Nur was ist schon ein unbekannter Urheber? Noch vor wenigen Jahren, als der 8-Bit-Guy noch der iBook-Guy war, kannten ihn auch nur wenige Leute (im Verhältnis zu jetzt). Angenommen, ein neuer Retro-Rechner würde vor allem Commodore-Fans ansprechen (wie es die anderen 3 Projekte ja nun auch auf unterschiedliche Art und Weise tun) und er käme aus der Forum64-Community, dann wäre die Kern-Zielgruppe (zumindest die deutschsprachige) ja quasi direkt an der Entwicklung beteiligt und würde das Projekt zumindest kennen. Und wenn wir als Gemeinschaft dann das Produkt weiterempfehlen würden, dann würden schon nicht zu wenige Leute darauf aufmerksam werden.
Und was ist schon "Erfolg"? Nein, ich gehe nicht davon aus, dass eine beliebige Retro-Plattform an der Akzeptanz und Beliebtheit eines C64 rütteln wird. Der C64 wird wahrscheinlich auf lange Zeit die Top-Plattform für Retro-Entwicklungen im Bereich Soft- und Hardware bleiben. Ich sehe so eine Retro-Kiste eher als Ergänzung. Zum einen können Sich die Auskenner mal an etwas neuem austoben, wenn ihnen zwischendurch die C64-Specs zu langweilig werden – einfach mal, um sich die Hörner abzustoßen und dann wieder "zurück zu Mutti64" zu gehen. Zum anderen soll so eine Retro-Kiste diejenigen ansprechen, die auf dem C64 niemals ein vernünftiges Programm hinbekämen – einfach, weil es zu kompliziert (oder zu zeitaufwendig) für sie wäre. Die Retro-Kiste soll die Programmierung erleichtern und schneller zum Erfolg führen.
"Aufgrund relativ geringer Verbreitung hielt sich auch das Software-Angebot für die SuperCPU in Grenzen. Ohne attraktive Software waren aber nicht viele bereit, den Preis für die SuperCPU zu zahlen - ein Teufelskreis."
Bei der SuperCPU spielen einige Faktoren eine Rolle, die ihre Verbreitung verhindert haben:
- Viel zu spät: 1996!!!! hat sich doch kein Mensch mehr für den C64 interessiert – aber "retro" war da auch noch kein großes Thema.
- Zu wenig Benefit: Der C64 wurde und wird vor allem zum Spielen verwendet. Die SuperCPU hat aber vor allem bei GEOS u.ä. punkten können weil sie nur zwei Vorteile brachte: Mehr RAM und mehr MHz. Spieler hätten sich aber eher für bessere Grafik oder noch besseren Sound erwärmen können. Da half die SCPU aber nicht. Und "Giana" wird nicht besser, wenn man es in fünffacher Geschwindigkeit spielt.
- Als Exoten-Gerät heute natürlich zu teuer, um es vorauszusetzen. Als die Retro-Welle rollte, war die SCPU schon ein Sammlergut und viel zu teuer, um sich noch "durchzusetzen".
Den "Teufelkreis" würde man bei einer neuen Retro-Plattform versuchen, zu umgehen, indem man 1) den Preis so gering ansetzt, dass der Kauf keine allzu große Hürde darstellt. Wenn eine Hardware ausreichen günstig zu haben ist, erhöht sich einfach die Kaufbereitschaft, selbst wenn es noch wenig Content gibt. Der 2. wichtige Punkt wäre, die User selbst dazu zu bringen, Content zu produzieren, indem man das Programmieren auf der Kiste besonders einfach und angenehm gestaltet. Der 3. Punkt wäre, dass man die potentiellen Interessenten auch emotional anspricht. (Die SuperCPU ist ja so "attraktiv", wie eine Autobatterie). Der 4. Punkt wäre, dass man "Kunden" mobilisiert, z.B. hier über unsere Community. Wir sind vielleicht nicht ganz so viele, wie der 8-Bit-Guy bei FB einsammeln konnte – aber verstecken brauchen wir uns nun auch wieder nicht.
All das garantiert natürlich keinen Erfolg – aber es wäre schonmal ein Anfang.
(Der damalige Commodore-Erfolg war in Teilen ja auch ein deutsches Phänomen – warum entstehen jetzt die Commodore-nahen Retro-Rechner alle woanders?)
Es geht hier ja auch darum, aus reinen Usern wieder Hacker zu machen, indem die mitgelieferten Tools einfach unwiderstehlich sind.
Das wäre halt eines der genannten Ziele. Der Vorteil gegenüber ALLEN alten Plattformen, egal ob 8 oder 16 Bit, sollte sein, dass sich die Retro-Kiste viel einfacher programmieren lässt.